Wenn der Himmel knapp bei Kasse ist – warum Kirchen jetzt zum relevanten Player auf dem Immobilienmarkt werden

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Es klingt paradox: Ausgerechnet die beiden großen Kirchen in Deutschland – jahrhundertelang Synonym für Besitz, Boden und Vermögen – geraten zunehmend unter finanziellen Druck. Der Grund liegt auf der Hand: Die Zahl der Mitglieder sinkt rapide, und mit ihr die Einnahmen aus der Kirchensteuer. 2024 traten rund 666.000 Menschen aus – eine Zahl, die nicht nur symbolisch wirkt, sondern handfeste Konsequenzen hat.

Doch was passiert, wenn Institutionen mit Milliardenwerten plötzlich liquide Engpässe spüren?
Wie reagieren Träger, deren Auftrag zwischen Moral, Rendite und sozialer Verantwortung liegt?
Und welche Chancen ergeben sich daraus für Investoren, Entwickler und Bestandshalter?

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Vom Glauben zur Geldfrage

Ende 2024 gehörten noch 37,8 Millionen Menschen in Deutschland einer Kirche an. Trotz dieser beeindruckenden Zahl ist der Trend eindeutig: Austritte, demografischer Wandel und steigende Kosten zwingen die Kirchen zu einem strategischen Umdenken.

2025 fließen rund 12,7 Milliarden Euro Kirchensteuer an die beiden großen Konfessionen – nahezu gleichmäßig geteilt zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Ein erheblicher Teil davon wird unmittelbar wieder in die Gesellschaft reinvestiert: in Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder soziale Projekte.

Das Ziel bleibt: Daseinsvorsorge im Namen des Glaubens. Doch um diesen Auftrag langfristig zu erfüllen, müssen auch die Kirchen ihre Vermögensverwaltung professionalisieren – insbesondere im Bereich Immobilien.

Der Schatz im Stein: 200 Milliarden Euro Immobilienvermögen

Die beiden großen Kirchen verfügen zusammen über ein geschätztes Immobilienvermögen von mindestens 200 Milliarden Euro – wahrscheinlich deutlich mehr.
Allein die katholische Kirche hält etwa 130.000 Gebäude, die evangelische rund 75.000.
Nur ein Drittel dient liturgischen Zwecken; der Rest besteht aus Pfarrhäusern, Verwaltungsgebäuden, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Wohn- und Gewerbeimmobilien.

Investiert und verwaltet wird über Spezialfonds, kirchliche Vermögensverwaltungen und Mandate – etwa über das bekannte Aachener Grundvermögen, das mit über 1,2 Milliarden Euro Assets gezielt auf Ertragsoptimierung bei ethischer Verantwortung setzt.

Diese Institutionen agieren heute zunehmend wie Family Offices mit Moralauftrag – mit klaren Governance-Regeln, ESG-Vorgaben und langfristigem Anlagehorizont.

Aktien, Anleihen – und die Bibel der ESG

Auch im Kapitalmarkt ist das neue Denken spürbar.
Während früher die Aktienquote kirchlicher Portfolios bei rund 10 % lag, liegt sie heute teils bei 30 % und mehr.
Anlageentscheidungen folgen strengen ethischen Leitlinien:

  • Keine Investitionen in Rüstung, Waffen oder Länder mit Todesstrafe

  • Bevorzugung von Unternehmen mit hohen ESG-Standards

  • Langfristige Perspektive, vergleichbar mit Staatsfonds

Doch der wahre Hebel liegt nicht im Wertpapierhandel, sondern im Betongold.
Denn die Immobilienbestände bieten enorme Potenziale für Ertragssteigerung, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Wirkung – wenn sie aktiv gemanagt werden.

Der Paradigmenwechsel: Von Flächenaufbau zu Portfolioerneuerung

Die zentrale Strategie lautet heute: Aktive Portfoliobereinigung statt Flächenaufbau.
Bis 2060 sollen bis zu 40.000 Gebäude verkauft, umgenutzt oder restrukturiert werden.

Dazu gehört auch eine grundsätzliche Neubewertung der Eigentumsstrukturen.
Viele Träger möchten zwar die Bodenwerte behalten, aber gleichzeitig liquide bleiben.
Die Lösung heißt: Erbbaurecht.

Lange Laufzeiten, indexierte Erbbauzinsen und ESG-konforme Nutzungskonzepte sichern den Fortbestand kirchlicher Werte – und bieten gleichzeitig Investoren und Entwicklern eine stabile Grundlage für Projekte mit Sinn und Rendite.

Parallel gewinnen Sale-and-Leaseback-Modelle an Bedeutung.
So werden Einrichtungen liquiditätswirksam verkauft, bleiben aber durch langfristige Mietverträge im kirchlichen Betrieb erhalten.

Joint Ventures mit Wertefokus

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Kaum eine kirchliche Organisation möchte komplexe Projekte heute allein stemmen.
Deshalb sind Joint Ventures mit privaten Entwicklern, Betreibern und Fonds längst gelebte Praxis.
Hier treffen zwei Welten aufeinander:
die ethisch geprägte Langfristperspektive kirchlicher Eigentümer und die operative Effizienz professioneller Marktakteure.

Für Partner aus der Immobilienwirtschaft gilt:
Respekt, Realismus und eine klare ESG-Story sind entscheidend.
Wer glaubwürdig soziale, ökologische und wirtschaftliche Ziele verbindet, hat beste Chancen auf langfristige Kooperationen.

Wie Sie als Investor oder Entwickler ansetzen können

Kirchliche Immobilienportfolios sind kein geschlossener Kosmos – sie öffnen sich zunehmend für externe Expertise.
Entscheidend ist, die richtigen Einstiegspunkte zu identifizieren.

1. Sourcing:
Suchen Sie gezielt nach untergenutzten Beständen in A- und B-Städten – etwa Pfarrhäusern, Verwaltungsgebäuden, Schulen oder Altenheimen.
Beobachten Sie Ausschreibungsportale, kirchliche Amtsblätter und Stiftungsseiten.

2. Ansprache:
Bieten Sie Lösungen, die kirchliche Entscheidungslogiken berücksichtigen:
Erbbaurecht statt Ankauf, ESG-Sanierungsfahrpläne, soziale Komponenten, denkmalgerechte Konzepte.

3. Projektentwicklung:
Kombinieren Sie Wirtschaftlichkeit mit Gemeinwohl:
Aus dem Gemeindehaus wird ein Ärztezentrum, aus dem Klosterflügel barrierefreies Service-Wohnen.
Die Kapelle bleibt als kultureller Anker bestehen.

4. ESG als Schlüssel:
Liefern Sie konkrete Maßnahmen statt abstrakter Nachhaltigkeit:
PV-Anlagen, Speicherlösungen, Energieeffizienz, KfW-Förderung – und klar kalkulierte Denkmalschutzkonzepte.

Herausforderungen bleiben

Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Drei Risiken müssen klar adressiert werden:

  1. Denkmalschutz und Wirtschaftlichkeit:
    Viele Gebäude sind identitätsstiftend – und teuer in der Sanierung.

  2. Governance und Transparenz:
    Kirchliche Strukturen sind komplex, Entscheidungswege lang, aber verlässlich. Wer sie kennt, spart Zeit und Nerven.

  3. Marktzyklen:
    Auch kirchliche Träger unterliegen Zins- und Baukostenentwicklungen – konservative Kalkulation bleibt Pflicht.

Fazit: Zwischen Kreuz und Cashflow

Kirchliche Institutionen gehören zu den größten und stabilsten Immobilieneigentümern Europas – und sie befinden sich mitten im Wandel.
Was jahrhundertelang als sakrosankter Besitz galt, wird heute strategisch restrukturiert.

Für Investoren, Entwickler und Betreiber öffnet sich damit ein Feld, das bislang schwer zugänglich war:
Langlebige Partnerschaften mit moralischer Legitimation, klarer ESG-Orientierung und stabilen Cashflows.

Wer mit Respekt, Sachverstand und nachhaltiger Story auftritt, kann hier in den kommenden Jahren echte Chancen nutzen – auf einem Markt, in dem Glaube und Rendite plötzlich dieselbe Sprache sprechen.

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